Digitales Gesundheitsdorf Oberes Rodachtal - Digitales Bürgernetz

Digitales Gesundheitsdorf: selbstbestimmt leben im eigenen Zuhause

#Gesundheit 12. April 2023

Eva-Maria Müller (links) zusammen mit Janet Januszewski, die in der lokalen Anlaufstelle DIGI-ORT in Steinwiesen über Möglichkeiten zu technikunterstütztem Wohnen und technischen Assistenzsystemen informiert. © Fraunhofer IIS

Wald und Wasser prägen das Obere Rodachtal im oberfränkischen Landkreis Kronach. Rund 8.000 Menschen leben hier verteilt auf drei Gemeinden: Wallenfels, Steinwiesen und Nordhalben. Die Herausforderungen, vor denen das Oberer Rodachtal in puncto medizinisch-pflegerische Versorgung steht, kennen auch andere ländliche Regionen: Die Gesellschaft altert, Arztpraxen schließen, weil sie keine Nachfolger finden, im Gesundheits- und Pflegebereich gibt es zu wenige Fachkräfte.

Digitale Plattform vernetzt Pflegebedürftige mit Angehörigen, Pflegediensten und Ärzt:innen

Das ist der Hintergrund, vor dem 2018 das Forschungsprojekt „Digitales Gesundheitsdorf Oberes Rodachtal“ (DIGI-ORT) entstand. Es ist Teil der Initiative „Digitales Dorf Bayern“. Die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen (IIS) und der Caritasverband für den Landkreis Kronach e.V. mit seinem ambulanten Pflegedienst hatten sich für das Projekt zusammengetan – unterstützt von den Bürgermeistern der drei Gemeinden im Oberen Rodachtal. „Die Grundidee ist, die ambulante Versorgung mithilfe der Digitalisierung zu verbessern, damit Menschen möglichst lange im eigenen Zuhause leben können und gleichzeitig Arztpraxen und ambulante Pflegedienste entlastet werden“, berichtet Eva-Maria Müller, Projektleiterin Digitalisierung beim Caritasverband. „Im Forschungsprojekt haben wir dafür verschiedene Lösungen getestet: zum einen digitale Assistenztechnologien in den eigenen vier Wänden, zum anderen eine digitale Plattform, die Seniorinnen und Senioren, Pflegebedürftige oder chronisch kranke Menschen mit deren Angehörigen, ambulanten Pflegediensten und Hausärzten vernetzt und so Abstimmungsprozesse vereinfacht.“

Sieben Haushalte konnte der ambulante Pflegedienst des Caritasverbands für das Forschungsprojekt gewinnen, das Team vom Fraunhofer ISS stattete sie mit digitalen Monitoring- und Assistenzgeräten aus. Darunter waren am Markt etablierte Assistenzsysteme wie Armbanduhren mit Schrittzähler und Aktivitätsmesser, Blutdruckmessgeräte sowie Präsenzmelder, aber auch ein vom Fraunhofer IIS entwickeltes textilbasiertes Vitaldatenmonitoring-System, das wie ein T-Shirt aussieht und Vitalwerte misst. Außerdem bekamen alle Haushalte einen privaten Datenspeicher, das sogenannte Home Data Gateway. In ihm flossen die Daten der Monitoring- und Assistenzgeräte sowie die Daten aus der Pflegedokumentation der ambulanten Pflegekräfte zusammen. Über eine verschlüsselte, digitale Kommunikations- und Vernetzungsplattform konnten die Daten mit der Außenwelt sicher und datenschutzkonform geteilt werden. Wer Zugang zu welchen Daten bekommt, lag in der Hand der Teilnehmenden.

„Für die Menschen zu Hause und deren Angehörige bedeutet ein solches System Sicherheit“, so Eva-Maria Müller. Dank des Monitorings können erwachsene Kinder zum Beispiel über das Smartphone sehen, wie aktiv ihre alleinlebenden Eltern sind. Pflegedienste und Arztpraxen wiederum bekommen einen ganzheitlicheren Blick über Krankheitsverläufe und den Gesundheitszustand ihrer Patienten, als es Momentaufnahmen vor Ort oder in der Praxis ermöglichen.

Entlastung für das Gesundheitssystem

„Künftig könnten wir mithilfe der Digitalisierung das gesamte Gesundheitssystem entlasten“, ist Eva-Maria Müller überzeugt. „Wenn Menschen in ihren eigenen vier Wänden gut überwacht und versorgt sind, könnten wir uns zum Beispiel so manchen Weg zum Arzt oder den ein oder anderen Kliniktransport sparen.“ In vielen Fällen reiche es etwa, wenn eine Pflegekraft einen Arzt über einen telemedizinischen Dienst hinzuzuziehe. Mithilfe von künstlicher Intelligenz könne man zudem dafür sorgen, dass beim Vorliegen bestimmter Vitaldaten ein Notruf ausgelöst werde. „Dafür braucht unser Gesundheitssystem zunächst neue Gesetze und neue Strukturen. Und es muss geklärt werden, wer die Dinge bezahlt. So weit sind wir noch nicht.“

Seniorin, die aus einem Fenster hinausschaut, mit einer Tasse in der Hand und einem Fotoalbum.
Viele Menschen möchten möglichst lange im eigenen Zuhause leben. Die Digitalisierung kann dabei helfen. © gettyimages

Was Müller aus dem Forschungsprojekt DIGI-ORT auf jeden Fall mitnimmt: Die Technik funktioniert – vorausgesetzt, eine Netzverbindung ist vorhanden. Viel wichtiger für Müller aber ist die Erfahrung, dass die Menschen bereit sind, die technischen Möglichkeiten zu nutzen. „Sie haben keine Angst davor ‚überwacht‘ zu werden, stattdessen sind sie dankbar, wenn sie wissen: Da ist jemand, der weiß, wenn mir etwas passiert.“ Voraussetzung sei, dass man den Menschen die Technik erklärt und ihnen eine Vorstellung davon gibt, was sie leisten kann. Dafür hat das Projektteam eine lokale Anlaufstelle in Steinwiesen geschaffen, die der Caritasverband für den Landkreis Kronach e.V. seit Juni 2021 betreibt. „Alles, was wir während des Forschungsprojekts getestet haben, machen wir hier erlebbar: sowohl die digitale Plattform als auch die technischen Assistenzsysteme – inklusive des textilbasierten Vitaldatenmonitoring-Systems.“

Mehr über das Projekt

Im Digitalen Gesundheitsdorf wurden die Potentiale der Digitalisierung für die medizinisch-pflegerische Versorgung im ländlichen Raum erforscht. Das Projekt DIGI-ORT untersuchte ganz konkret, wie Menschen ein möglichst langes und gut versorgtes Leben im eigenen Zuhause ermöglicht werden kann und sie dabei digital mit ihren Angehörigen, ÄrztInnen und Pflegekräften in Kontakt bleiben können. Hier weiterlesen.

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