- Digitales Bürgernetz

Bürgermeister Andreas Brohm: „Ende 2022 wollen wir alle Verwaltungsdienste digital anbieten“

#Arbeit 9. August 2022

Die Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte in der Altmark. © Stadt Tangerhütte

 

Herr Bürgermeister Brohm, Sie haben in Ihrer Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte das digitale Rathaus ausgerollt. Welche Dienste können die Bürgerinnen und Bürger online in Anspruch nehmen?

Das reicht von der Anmeldung eines Gewerbes über den verlorenen Personalausweis und die Anhörung in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren bis zur Beantragung von Brauchtumsfeuern – also die gesamte Breite unserer Aufgabenbereiche und zu viele, um sie im Einzelnen aufzuzählen. Auch interne Dienste für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie Reisekostenabrechnungen funktionieren bei uns digital. Ziel ist es, am Ende des Jahres 2022 alle Dienste online anzubieten. Übrigens haben wir einen absoluten „Verkaufsschlager“: die Online-Terminvereinbarung.

Was war ihr Antrieb, diesen Digitalisierungsprozess anzugehen?

Im Grunde geht es uns um zwei Fragen: Erstens: Wie wollen wir als Verwaltung in Zukunft arbeiten? Und wie können wir unsere vielfältigen Aufgaben mit weniger Personal erledigen? Nicht, weil wir Leute entlassen wollen, sondern weil es in Zeiten des Fachkräftemangels immer schwieriger wird, Menschen für die Arbeit in einer kleinen Kommune zu gewinnen. Und zweitens: Wie können wir es für die Bürgerinnen und Bürger so angenehm wie möglich machen? Wir sind eine Flächenkommune, hier fährt man gerne mal eine halbe Stunde von A nach B. Da hilft es, wenn man für bestimmte Sachen nicht mehr ins Rathaus gehen muss.

Wenn sie alle Dienste und Leistungen anbieten, erfüllen Sie die Anforderungen des Online-Zugangsgesetzes quasi im Vorbeigehen?

Genau. Das ist quasi nur ein Nebenprodukt.

Ein Mann im Hemd mit Anzug hält ein Smartphone hoch. Im Hintergrund ist ein Backsteingebäude mit der Aufschrift Rathaus zu sehen.
Bürgermeister Andreas Brohm treibt die Digitalisierung voran. © Stadt Tangerhütte

Das digitale Rathaus in Tangerhütte ging im Frühjahr 2020 an den Start. Wie wird das Angebot mittlerweile angenommen?

Wir haben inzwischen über 2.000 angemeldete Bürgerinnen und Bürger im System, der Abo-Informationsservice der Verwaltung hat fast 600 Leserinnen und Leser – ich würde daher sagen, unser Angebot hat seine Kunden gefunden, zumal wir es noch weiter ausbauen und entwickeln werden. Aber natürlich wünsche ich mir, dass noch mehr Menschen das digitale Rathaus nutzen. Am Ende soll sich jeder aussuchen können, welche Dienste er wie in Anspruch nimmt. Natürlich gibt es weiterhin Menschen, die gerne zu uns ins Rathaus kommen, mal ein Wort loswerden wollen. 

 

Ein digitales Rathaus zu eröffnen, ist für eine kleine Kommune ein Kraftakt. Wie haben Sie den bewältigt? Wer ist Ihr Partner?

Das ist in unserem Fall die Innocon Systems GmbH, die hier in Tangermünde sitzt – ein großer Player im Gesundheitsbereich. Deren Softwarelösungen laufen in Krankenhäusern in der ganzen Welt. Dort werden sehr viele sehr sensible Daten verarbeitet, sodass sich niemand Sorgen um die Sicherheit unserer Daten machen muss. 

 

Wie ging es los mit Ihrer Zusammenarbeit?

Vor drei Jahren sind wir erstmals ins Gespräch gekommen. Der Geschäftsführer meinte: „Irgendwie ist das, was Ihr da an Verwaltungssoftware habt, komisch. Im Grunde ähneln sich doch die Verwaltungen von Kliniken und Kommunen. Und für erstere haben wir gute und umfassende Lösungen.“ Und so kamen wir darauf, einfach mal zu versuchen, das zusammenzubringen. Am Ende hatten wir eine echte Win-win-Situation: Wir als Kommunalverwaltung erklären unserem Softwarepartner, was wir wie brauchen – und der passt Systeme und Portale an unsere Bedürfnisse an. Gerade letzte Woche haben wir aus diesem Portal 3.000 Bescheide per E-Post versandt. Ein Alleinstellungsmerkmal von mehreren ist unsere App, wo ich mich mit meinem Fingerprint autorisieren und dann nachvollziehen kann, was ich gestern mit der Verwaltung geschnackt habe. Ist es nicht erstaunlich, dass eine solche Lösung aus dem medizinischen Bereich kommt und nicht von den üblichen Verdächtigen, die sich seit Jahrzehnten mit Verwaltungssoftware auseinandersetzen?

„Wir müssen in Deutschland lernen, ganzheitlich zu denken, und den Mut aufbringen, Dinge zu ändern.“

Nutzen auch andere Kommunen das von Tangerhütte und Innocon Systems entwickelte System?

Soweit ich weiß, hat die Kommune Thale das erworben und ist gerade dabei, das System zu implementieren. Hier in der Altmark macht die Stadt Stendal schon die Terminvergabe darüber, Arneburg-Goldbeck hat es ebenfalls auf seiner Homepage eingebunden. Das sind Nutzungen in unterschiedlichem Umfang und Reifegrad. 

 

Welche Perspektive sehen Sie?

Im Grunde könnte jede Kommune in Sachsen-Anhalt morgen das digitale Rathaus ausrollen. Zurzeit gibt es aber ein grundsätzliches Problem: Das Land hat noch keine Digitalisierungsstrategie für Kommunen. Theoretisch könnte morgen aus Magdeburg die Ansage kommen: ‚Alle Kommunen in Sachsen-Anhalt machen das mit der Verwaltungsdigitalisierung jetzt bitte so. Wir stellen dafür eine einheitliche Software zur Verfügung.‘ In dem Fall hätten wir mit unserem System mit Zitronen gehandelt, und insofern ist man andernorts auch noch ein bisschen zaghaft. Ich glaube aber, dass wir auf einem guten Weg sind, dass das digitale Rathaus aus Tangerhütte der Standard wird – weil es einfach nichts Besseres gibt.

 

Was wäre aus Ihrer Sicht wichtig, wenn Sie eine Digitalisierungsstrategie für Kommunen mitentwerfen könnten?

Wir müssen meiner Meinung nach die gesamte Verwaltung in und für Deutschland aus der Perspektive der Kommune denken. Denn hier werden die Bürgerinnen und Bürger geboren, hier leben und sterben sie. Über Bürgerportale müssen daher alle Verwaltungsleistungen Deutschlands abgewickelt werden können. Ich denke, dass wir dafür auch die Ressourcenverteilung ändern müssen: Kommunen brauchen bessere Ressourcen, damit sie ihre Leistungen auch erbringen können. Wir müssen in Deutschland lernen, ganzheitlich zu denken, und den Mut aufbringen, Dinge zu ändern. Bestimmte Fragen sollten wir uns daher mit Nachdruck stellen: Braucht der Bund diese Kompetenzen? Brauchen die Länder jene Kompetenzen? Warum geben wir nicht mehr Kompetenzen an die Kommunen? Für mich ist klar: Wenn wir so weitermachen wie bisher, bürokratisieren wir uns in den nächsten Jahren zu Tode.

Ein Mann spricht gestikulierend. Er trägt einen blauen Anzug und ein hellblaues Hemd.
Bürgermeister Andreas Brohm © Stadt Tangerhütte

Zur Person

Andreas Brohm (parteilos) ist seit 2014 Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte. Brohm ist in Tangerhütte geboren, studierte später Betriebswirtschaftslehre und war mehrere Jahre in der Musikbranche tätig, zuletzt als Europa-Tour-Manager des Musicals West Side Story. Die Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte hat rund 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner und 19 Ortschaften und liegt zwischen Magdeburg und Stendal in der Altmark (Sachsen-Anhalt).

Erfahren Sie mehr über das digitale Rathaus, oder informieren Sie sich über das Digitale Rathaus von Tangerhütte.

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