Wurstehimmel 2.0: Digitalisierung im Metzgerhandwerk - Digitales Bürgernetz

Traditionelles Handwerk trifft moderne Technik: Die „Ahle Wurst” wird digital

#Arbeit 3. Mai 2022

Katharina Koch in ihrem Wurstehimmel – hier reift die „Ahle Wurst“. © Landmetzgerei Koch

Der Ruf aus der Heimat ereilte Katharina Koch 2013 in Amerika. Genauer gesagt war es ein Anruf. Am anderen Ende der Leitung: Vater Thomas Koch. Im gut 6.000 Kilometer entfernten Calden bei Kassel machte er sich sich Gedanken über die Zukunft seines Fleischereibetriebs, den er mittelfristig an die fünfte Generation übergeben wollte. Seither ist viel passiert: Tochter Katharina hat nicht nur die Landfleischerei übernommen, sondern auch einen Onlineshop aufgebaut. Ein Fünftel ihres Umsatzes macht sie mittlerweile im Netz. Und sie macht sich daran, das Herzstück des Familienbetriebs zu digitalisieren – den Wurstehimmel. 

Unternehmertum als Erfüllung

Von Calden aus hatte sich auch Katharina Koch auf den Weg in die weite Welt gemacht. Nach einem Politikstudium, einer Anstellung in einem Bundestagsbüro und einem Masterabschluss in Paris arbeitete sie für die Vereinten Nationen in New York. Ein verheißungsvoller Karrierebeginn. Doch der Anruf ihres Vaters brachte sie ins Grübeln. „In meiner Lebensplanung hatte die Option, Fleischerin zu werden und den Familienbetrieb zu übernehmen, nie eine Rolle gespielt“, blickt Katharina Koch heute zurück. „Als Nachfolger wären viel eher meine älteren Brüder in Frage gekommen.“ Doch auch die hatten Calden verlassen und spürten keinen Drang zurückzukehren. Das ging der Schwester anders: „Ich bin in einer Familie aufgewachsen und erzogen worden, in der Selbstständigkeit und Unternehmertum jeden Tag gelebt wurden. Dort wurden Entscheidungen getroffen, Ideen schnell umgesetzt, und immer konnte man recht bald sehen: Dies funktioniert gut, jenes weniger. Das ist in der Politik völlig anders – und das ist auch richtig und wichtig. Aber mich füllten die Arbeit und die Prozesse nicht wirklich aus.“ So kehrte sie schließlich nach Hessen zurück. Der Vater wurde zum Ausbilder, der das über Generationen weitergegebene Wissen mit ihr teilte. 2018 hängte Katharina Koch ihren Meisterbrief an die Wand. Und sie übernahm die Landfleischerei Henry Koch.

Eine angeschnittene Schweinewurst liegt auf einem Holzbrett.
Die „Ahle Wurst“ wird auch online vertrieben. Heimatkranke Exilhessen bestellen die Spezialität gern. © Landfleischerei Koch

Der Vertrieb wandert ins Netz

Die Spezialität des Betriebes wie der gesamten Region ist die „Ahle Wurst“, eine aromatische, lange gereifte Rohwurst. An deren traditioneller Zubereitung änderte die neue Chefin nichts. Aber natürlich war sie nicht nach Calden zurückgekehrt, um alles so weiterzumachen wie bisher. „Auch das hat mir mein Vater mitgegeben und vorgelebt: Man muss sich und Dinge immer weiterentwickeln und kreativ sein – Bewährtes bewahren und gleichzeitig neue Wege finden und gehen“, sagt sie. Heute vertreibt sie ihre Spezialitäten daher nicht nur über das eigene Ladengeschäft und ausgewählte Einzelhändler. Unter Katharina Kochs Leitung wurde die Ahle Wurst auch digital: Im Onlineshop unter www.wurstehimmel.de können sich Kundinnen und Kunden wie etwa heimwehkranke Exilhessen mit Waren aus Calden versorgen. Flankiert wird der Onlineauftritt durch Accounts auf Instagram, Twitter und Facebook. „Der seit Jahren anhaltende Trend zum Online-Einkauf erfasst immer mehr auch den Lebensmittelbereich. Schon heute mache ich etwa 20 Prozent meiner Umsätze im Netz. Und der Anteil wird weiter zunehmen, auch weil bei uns wie in anderen Branchen der stationäre Handel an Bedeutung einbüßen wird. Für spezialisierte kleinere und mittelständische Betriebe auf dem Land liegen hier große Chancen – wenn denn die Anbindung stimmt“, erklärt Katharina Koch.

Bewährtes bleibt, Neues kommt

in einem Raum hängen Würste von der Decke. Vor dem Fenster steht ein Stuhl.
Der Wurstehimmel soll künftig mit digitaler Technik gesteuert werden. © Landfleischerei Koch

Nach der handwerklichen Herstellung aus schlachtwarmem Schweinefleisch wandert die „Ahle Wurst” bei den Kochs in den ziemlich irdischen „Wurstehimmel“. Die Lehmwände der vor fast 150 Jahren gebauten Kammer sorgen für ein optimales Klima; Würste und Schinken reifen darin zu Delikatessen heran. Doch auch hier macht die moderne Technik nicht halt. „Gemeinsam mit der Universität Kassel werden wir unseren Wurstehimmel digitalisieren“, erklärt Katharina Koch. „Zunächst geht es darum, einen automatischen Überblick über die Reifeprozesse zu haben, also per Computer zu erfassen, wie viele Würste von welcher Sorte dort wie lange hängen und noch hängen müssen. Das machen wir bisher noch per Hand.“ Angesichts der langen Zeit zwischen Produktion und Verkauf ist ein Überblick über die Bestände sehr wichtig: „Unsere kleinste und dünnste Wurst hat eine Reifedauer von mindestens sechs Wochen, bei den anderen Sorten kann das bis zu einem Jahr dauern. Da ist es wichtig, rechtzeitig daran zu denken, Nachschub herzustellen.“ Ein weiterer Aspekt ist das Raumklima. „Wir haben natürlich ein Thermometer und ein Hygrometer an der Wand und wissen aus Erfahrung, bei welchen Werten wir mal ein Fenster aufmachen oder die Luft ein bisschen be- oder entfeuchten sollten. Aber da kann digitale Technik uns auch weiterhelfen. Ich bin gespannt, was sich die Leute von der Uni da Schlaues für uns ausdenken.“

Eine Frau steht in einem Schweinestall.

„Bleiben ein traditioneller Betrieb”

Gab es früher nur drei traditionelle Sorten, so zogen und ziehen nach Katharina Kochs Übernahme auch neue Varianten der “Ahlen Wurst” ins Sortiment der Landfleischerei ein: etwa eine toskanisch angehauchte und mit Fenchelsaat gewürzte Sorte, eine scharfe, die an eine spanische Chorizo erinnert, und eine Wurst aus Wildschweinfleisch. Das Wild dafür jagt die Chefin selbst. Und auch die im Betrieb geschlachteten und verarbeiteten Tiere kommen aus Calden und Umgebung. „Bei uns ist alles seit fünf Generationen nachhaltig und regional“, stellt Katharina Koch selbstbewusst fest, „was seit einigen Jahren bei immer mehr Verbraucherinnen und Verbrauchern im Trend liegt, machen wir schon seit weit über hundert Jahren so.“ Daran wird auch die digitale Technik am Ende nicht rütteln. Katharina Koch ist sich sicher, dass das Wissen und Können der Fleischerinnen und Fleischer am Ende nicht zu ersetzen ist: „Wir fühlen und riechen unsere Produkte, sehen, wie sie sich entwickeln und wie wir sie behandeln müssen. Die Technik kann für uns ein wichtiges Hilfsmittel sein. Aber wir wollen und werden ein traditioneller Betrieb bleiben, in dem wir mit unseren Händen und unserem Wissen aus guten Rohstoffen hochwertige und schmackhafte Lebensmittel herstellen“, stellt sie klar und fügt hinzu: „Das ist für mich die schönste Arbeit der Welt.“ 


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