Geodaten sind für die Digitalisierung der Kommunen essentiell - Digitales Bürgernetz

Mit Geodaten gegen den Klimawandel – wie Digitalisierung Kommunen zukunftsfähig machen kann

#Arbeit 29. November 2023

Dr. Stefan Ostrau setzt sich dafür ein, dass Kommunen Geodaten besser nutzen. © Kreis Lippe

Dr. Stefan Ostrau, promovierter Geodät und Digitalisierungsbeauftragter im Kreis Lippe, beschäftigt sich mit Geoinformationssystemen (GIS), Geodateninfrastrukturen (GDI) und Digitalen Zwillingen. Im Interview erklärt er, warum Geodaten für die Digitalisierung der Kommunen so wichtig sind.

Herr Dr. Ostrau, welche Bedeutung haben Geodaten für die Kommunen?

Geodaten sind für Kommunen ein unverzichtbares Instrument zur Bewältigung zentraler Zukunftsaufgaben. Sie spielen eine Schlüsselrolle in verschiedenen Bereichen wie Mobilität, Klimafolgenanpassung und integrierter Stadtentwicklung. 3D-Modelle und Digitale Zwillinge tragen dazu bei, komplexe Sachverhalte einfacher darzustellen und zur besseren Verständlichkeit von politischen Entscheidungsprozessen beizutragen. Im Bereich des Mobilitätsmanagements können Verkehrsströme in Echtzeit dargestellt und analysiert werden, um beispielsweise multimodale Verkehrskonzepte zu erarbeiten und eine umweltfreundliche Verkehrsführung zu planen. Einige Städte gehen schon entsprechend vor. Darüber hinaus sind Geodaten ein wichtiges Werkzeug, um die Bevölkerung in Partizipationsprozesse einzubinden.

Können Sie uns näher erläutern, wie genau solche Daten dabei helfen, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen?

Geodaten bieten eine solide Grundlage für die Entwicklung von Konzepten und Maßnahmen gegen den Klimawandel. Dabei geht es vor allem um die vier Phänomene Starkregen, Hochwasser, Hitze und Dürre – und natürlich um die Frage, wie sich die Wälder und die Vegetation in den nächsten Jahren vor Ort konkret verändern, wenn wir nichts unternehmen.

In der Klimafolgenanpassung werden Geodaten beispielsweise für die Modellierung von Starkregen- und Überflutungsszenarien eingesetzt. Neuralgische Punkte können so identifiziert und spezielle Maßnahmen wie Gewässerveränderungen, gezielte Baumaßnahmen oder auch alternative Regenwasserkonzepte durchgeführt werden.

In Kooperationsprojekten wie „Evolving Regions“ geht es beispielsweise darum, Regionen robust zu machen für die Zukunft. Dazu sind neben vielen kommunalen Geodaten auch die des Deutschen Wetterdienstes und der Umweltverwaltung Nordrhein-Westfalen herangezogen worden. Klimawirkungsanalysen in Verbindung mit Geoinformationen erlauben dabei einen Vergleich der heutigen und zukünftigen Klimasituation bis 2050. Mittels Digitaler Zwillinge können wir Szenarien für die Zukunft entwickeln. Ermitteln lassen sich auch konkret betroffene Bereiche und Objekte, beispielsweise starkregengefährdete Gebäude, hitzegefährdete Siedlungsbereiche oder auch sich stark verändernde Waldgebiete. Darauf aufbauend können konkrete Maßnahmen erarbeitet und im Digitalen Zwilling dargestellt werden.

Im städtebaulichen Kontext sind Geodaten unerlässlich für die Schaffung von Klimainseln und die Verbesserung der städtischen Belüftung. Durch die Analyse der Versiegelung von Flächen können wir beispielsweise feststellen, wo die Temperaturen zu Stoßzeiten über 40 Grad steigen, und entsprechende städtebauliche Maßnahmen planen. Und natürlich spielen sie auch eine wichtige Rolle im Risikomanagement und in der Krisenstabsarbeit.

Eine Grafik verdeutlicht die Einsatzmöglichkeiten von Geodaten
Geodaten können in der Stadtentwicklung in vielen Bereichen eingesetzt werden. © Kreis Lippe

Wie kann man durch eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung erreichen, dass auch kleinere Kommunen Teil dieser Entwicklung sind?

Die Herausforderung besteht darin, die Innovationskraft, die oft von den Städten ausgeht, auf die Fläche, also auch auf kleinere Kommunen, zu übertragen. In dem Zusammenhang spielen auch Daseinsvorsorgeaspekte und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse eine besondere Rolle. In Deutschland gibt es rund 11.000 Kommunen, davon 294 Landkreise und 106 kreisfreie Städte. Diese Vielfalt erfordert eine differenzierte Herangehensweise.

Ein erster Schritt ist die Erstellung von Positionspapieren auch auf Kreisebene, die sowohl die bisherigen Aktivitäten dokumentieren als auch den Willen zur Weiterentwicklung signalisieren. Mit unserem Positionspapier des Landkreistags Nordrhein-Westfalen sind wir einen solchen Schritt gegangen. Es geht nicht nur darum, mit den innovativen Entwicklungen in den Städten Schritt zu halten, sondern auch darum, eigene Akzente zu setzen.

Die Zusammenarbeit bietet sich in Form von Kooperationen auf Kreisebene an, beispielsweise bei den infrastrukturellen Querschnittsthemen 5G, Breitband und LoRaWAN. Dieses auch deshalb, weil aufgrund fehlender Ressourcen nicht jede Kommune in der Lage sein wird, komplexe GIS-Systeme in Form Digitaler Zwillinge einzuführen. Daher ist es sinnvoll, Synergien zu nutzen und gemeinsame Lösungen zu entwickeln.

 

Welche Rolle spielen dabei Open-Source-Anwendungen?

Open-Source-Anwendungen bieten den Vorteil, dass keine Lizenzkosten anfallen. Allerdings entstehen Kosten für Schulung, Installation und Anpassung. Konfektionierte Systeme hingegen verursachen Lizenzkosten, bieten aber oft umfassenden Support und Wartung. Die Wahl zwischen Open-Source und konfektionierten Systemen sollte daher sorgfältig abgewogen werden, insbesondere im Hinblick auf die Gesamtkosten und den Schulungsbedarf. Beide Ansätze haben ihre Vor- und Nachteile, und es ist wichtig, die langfristigen Auswirkungen auf die Kommune zu berücksichtigen.

 

Welche Art der Zusammenarbeit wünschen Sie sich für die Zukunft und welche weitere Entwicklung erwarten Sie auf diesem Gebiet?

Der Kraftakt der nachhaltigen Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland kann auf Dauer nur durch den Aufbau datenbasierter Ökosysteme mit vernetzten Geoinformationen sowie die stärkere institutionelle Einbindung der Geodateninfrastruktur Deutschland, GDI-DE, gelingen. Die GDI-DE ist ein Netzwerk, in dem der Bund, die Länder und auch die Kommunen seit Jahren eng zusammenarbeiten. Bei der Umsetzung der Digitalisierung in Deutschland könnte dieses Netzwerk durch den IT-Planungsrat noch stärker eingebunden und gefordert werden.

Für die Zukunft ist eine verstärkte Vernetzung und Kooperation auf verschiedenen Ebenen wünschenswert, insbesondere bei der Entwicklung Digitaler Zwillinge. In diesem Zusammenhang sei ein vielversprechendes Beispiel der Zusammenarbeit aus NRW genannt: Das Land NRW baut bis Ende 2023 den Prototyp eines Digitalen Zwillings zur „Gefahrenabwehr“ auf. Erfolgen soll eine Abstimmung mit weiteren Verfahren der Gefahrenabwehr, beispielsweise Vidal, IG-NRW, digitale Lagebilder. Eingebunden werden sollen auch Echtzeitdaten zu Ressourcen und Einsatzorten der örtlichen Feuerwehren und Fahrzeugen.

Insgesamt ist die zukünftige Entwicklung in diesem Bereich vielversprechend, aber sie erfordert eine gut durchdachte Planung und Kooperation auf verschiedenen Ebenen. Dabei sollte stets das Ziel verfolgt werden, eine effiziente und nachhaltige Infrastruktur aufzubauen, die den Bedürfnissen und Ressourcen aller Beteiligten gerecht wird. Zum Aufbau von Datenökosystemen sind Normen und Standards, cloudbasierte Rechnersysteme, hochleistungsfähige Glasfaserstrukturen und die Bereitstellung standardisierter Daten und Geodaten des öffentlichen Sektors erforderlich.

Weitere wichtige Aspekte sind die Datensouveränität und -sicherheit. Auf europäischer Ebene gibt es bereits die Initiative Gaia-X, um eine sichere und transparente Dateninfrastruktur zu schaffen, Datensouveränität zu gewährleisten und Innovationen zu ermöglichen. Für uns im öffentlichen Sektor ist das momentan aber noch Zukunftsmusik.

Über Stefan Ostrau

Dr.-Ing. Stefan Ostrau ist Digitalisierungsbeauftragter beim Kreis Lippe. Er ist in mehreren Organisationen zum Aufbau von Geodateninfrastrukturen und Digitalen Zwillingen aktiv: Er ist Vertreter des Deutschen Landkreistags im Lenkungsgremium Geodateninfrastruktur Deutschland (GDI-DE), sowie Mitglied im Gutachterausschuss der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) zu Organisation und Informationsmanagement. Kontaktdaten finden Sie hier.

Einen Artikel über das Positionspapier des Landkreistags NRW finden Sie hier.

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