Vom Pionier zum Elblandwerker: Christian Soult © Kobie van Rensburg
Wittenberge war zu DDR-Zeiten ein Industriestandort. Nach der Wende schlossen die Fabriken, mit ihnen gingen die Menschen – vor allem die jungen. Doch seit einigen Jahren tut sich wieder etwas, die Kleinstadt an der Elbe erfindet sich neu. Die Elblandwerker gehören zu denjenigen, die einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Christian Soult ist einer von ihnen.
Herr Soult, die Elblandwerker sind aus dem Projekt Summer of Pioneers hervorgegangen, das 2019/20 in Wittenberge stattfand. Der Summer of Pioneers gibt Digitalarbeiter:innen und Kreativen aus der Großstadt die Möglichkeit, ein halbes Jahr im ländlichen Raum zu leben, zu arbeiten und vor Ort neue Impulse zu setzen. Was hat Sie persönlich 2019 dazu bewogen, als Pioneer nach Wittenberge zu kommen?
Ich lebte damals in Berlin. Die Stadt wurde mir zu laut und zu voll, ich war großstadtmüde. Die Idee des Summer of Pioneers hat mich angesprochen. Zum Angebot gehörte ein Coworking Space. Ich hatte Lust, das auszuprobieren. Außerdem waren wir aufgefordert, uns in die Stadt einzubringen. Der Gedanke, in Wittenberge etwas zu machen, was in Berlin gar nicht möglich wäre, hat mir gefallen.
Nach zwei Sommern sind 2020 mehr als die Hälfte der Pioneers geblieben. Was hat Sie und die anderen dazu bewogen?
Es ist zum einen die Gemeinschaft. Sie ist auch der wesentliche Grund, warum immer mehr Menschen Teil der Elblandwerker werden möchten. Hinzukommt die Möglichkeit, dass wir uns hier entfalten und ganz unterschiedliche Projekte anstoßen können.
Was sind das für Projekte und was bewirken sie in der Stadt?
Wir führen viele Projekte fort, die während des Summers of Pioneers entstanden sind. Da gibt es zum Beispiel den Stadtsalon Safari. Drei Pioneers haben sich zusammengetan und einen Ort für Kunst, Kultur und Begegnung geschaffen, den es so in Wittenberge noch nicht gab. Das Besondere: Jede und jeder kann mit Ideen vorbeikommen und sich einbringen. Es gibt Musik, Lesungen, Reparaturcafés, Workshops und Fortbildungen. Für die Elblandwerker – und zuvor für die Pioneers – war der Stadtsalon Safari von Anfang an eine Tür zur Stadtbevölkerung. Inzwischen ist er zu einem sehr wichtigen Ort geworden – auch für die kulturelle Stadtentwicklung.
Ein weiteres Projekt ist der Coworking Space, den wir in Kooperation mit dem Technologie- und Gewerbezentrum Prignitz und der Wohnungsbaugesellschaft der Stadt weiterführen. Damit behält Wittenberge einen Ort, an dem Menschen arbeiten und sich austauschen können.
Was hat sich gegenüber dem Summer of Pioneers verändert?
Wir sind zum einen viel mehr Menschen. Es gibt inzwischen über 300 Elblandwerker. Da kann man eine Menge machen. Wir können Impulse setzen und haben uns so weit etabliert, dass die Stadt immer wieder nach unseren Ideen und Meinungen fragt.
Die Elblandwerker gibt es auch nicht mehr nur in Wittenberge, sondern in der ganzen Prignitz. Wir sind mit anderen Gemeinden im Gespräch, zum Beispiel was Coworking Spaces angeht. In Wittenberge selbst soll ein weiterer entstehen.
Insgesamt verändert sich in der Stadt unheimlich viel. Dazu tragen die Elblandwerker ihren Teil bei. Wir ziehen Menschen an, die Häuser kaufen und Leerstand beleben. Es kommen junge Familien mit Kindern, die hier in die Kita und zur Schule gehen. Ich denke, wir verjüngen die Stadt, wir sind eine Zuzugsinitiative. Die Offenheit, die wir von Anfang an in Wittenberge erfahren haben, geben wir jetzt weiter. Das Gute: Niemand muss sich sofort entscheiden, herzuziehen. Wer möchte, kann das Leben in der Kleinstadt erst einmal testen. Dafür gibt es zwei Community-Wohnungen, die vom Summer of Pioneers geblieben sind, und die wir jetzt in Kooperation mit der WGW, der Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Wittenberge, betreuen.
Wie wichtig ist die digitale Infrastruktur für Sie und die anderen Elblandwerker?
Kurz gesagt: sehr wichtig. Die meisten von uns kommen nach Wittenberge und bringen ihre Arbeit mit. Egal ob wir im Coworking Space oder von zu Hause arbeiten, wir brauchen schnelles Internet. Das war in Wittenberge von Anfang an vorhanden und wird aktuell mit Glasfaser weiter ausgebaut.
Auch für die weitere wirtschaftliche Entwicklung ist eine gute digitale Infrastruktur notwendig. Wir haben hier noch einiges vor. Wir möchten unser Netzwerk nutzen, um weitere spannende Unternehmen aus der Start-up- und Tech-Szene nach Wittenberge zu holen.
Sie sagten, dass inzwischen mehr als 300 Elblandwerker zur Community gehören. Wie gelingt es Ihnen, so viele Menschen anzuziehen?
Sie kommen tatsächlich von selbst. Einfach, weil wir die Angebote haben: Das Probewohnen, den Coworking Space, aber auch Orte wie den Stadtsalon Safari. Die Menschen ziehen aus verschiedenen Gründen in eine Stadt beziehungsweise Region. Eine wichtige Rolle spielt die Stimmung. Was passiert in einer Stadt? Sind dort Menschen, mit denen ich mich austauschen und etwas machen kann? Dass in Wittenberge eine Aufbruchstimmung herrscht, hat sich herumgesprochen – unter anderem dank der medialen Berichterstattung, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat.
Die Elblandwerker sind eine Kooperative für Arbeit, Leben und Wandel, die im Jahr 2020 in Wittenberge als Fortführung des Projektes Summer of Pioneers entstanden ist. Sie richtet sich an Menschen, die nach einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten suchen und ein Bedürfnis nach Ruhe, Natur und Entschleunigung verspüren. Die Elblandwerker helfen dabei, sich in der Prignitz anzusiedeln, sich zu vernetzen und gemeinsam Ideen und Projekte in und für die Region zu verwirklichen.
Der Summer of Pioneers in Wittenberge war der erste, aber nicht der letzte. Regelmäßig bietet das Projekt von Neulandia Menschen aus der Großstadt Probewohnen und Coworking auf dem Land.