Medienkompetenz – wo steht die junge Generation heute? - Digitales Bürgernetz

Wie digital kompetent sind unsere Kinder?

#Bildung 4. November 2022

Früh übt sich: Der sachgemäße, kritische und umsichtige Umgang mit digitalen Medien muss geübt und kontrolliert werden. © stem.T4L | Unsplash 

Schon im Grundschulalter besitzen ein Fünftel der Kinder ein eigenes Smartphone. Bei den 10- bis 12-Jährigen schnellt der Anteil auf 86 Prozent hoch und ab 13 Jahren besitzt so gut wie jeder ein smartes Handy. Das besagt die aktuelle Kinder & Jugendstudie 2022 des Verbands Bitkom. Der Trend ist eindeutig: Während 2014 noch 20 Prozent der 6- und 7-Jährigen angaben, zumindest ab und zu ein Smartphone zu nutzen, waren es 2022 bereits 64 Prozent. Auch in allen anderen Altersklassen steigt die Nutzung stetig; bei den 12- und 13-Jährigen hat sie 2022 die Hundert-Prozent-Marke erreicht.

Keine Frage also: Das Internet ist für Kinder und Jugendliche allgegenwärtig. Fast 60 Prozent geben in der Studie an, sich „nicht vorstellen zu können, nie wieder online zu sein.“ Spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir aber auch, dass der Zugang zu digitalen Geräten und Inhalten für die Jugend nicht nur Fluch, sondern auch unabdingbar ist. Quasi über Nacht waren digitale Endgeräte und ein versierter Umgang mit digitalen Plattformen Grundvoraussetzung dafür, weiter an der Schulbildung teilnehmen zu können.

Digitale Lernformen allgegenwärtig machen

Experten fordern seit Langem, dass die Grundlagen der Informationstechnik und Datenverarbeitung auf den Lehrplan kommen. Sie sind mittlerweile nicht nur berufs- oder studienvorbereitend erforderlich, sondern gehören zur Allgemeinbildung. Doch wie stark das Schulfach „Informatik“ in den Lehrplänen verankert ist, variiert stark von Bundesland zu Bundesland. Mal ist es nur als Wahlfach im Angebot, aber nicht verpflichtend; mal der gymnasialen Oberstufe vorbehalten. Die Gesellschaft für Informatik veröffentlichte jüngst den aktuellen Informatik-Monitor, einen Bericht zum Stand und zu den Auswirkungen des Informatikunterrichts in Deutschland. Er „untermauere den akuten Handlungsbedarf, um eine zeitgemäße Bildung in der digitalen Welt zu ermöglichen“, so die Gesellschaft. Demnach arbeiten zwar mehrere Bundesländer aktuell daran, Informatik als Pflichtfach einzuführen; in sechs Bundesländern steht das Fach aber weiterhin nur zur Wahl.

Die Gesellschaft für Informatik erarbeitet regelmäßig Standards, was im Rahmen des Unterrichts vermittelt werden sollte. Der Monitor offenbart, dass Schüler:innen, für die Informatik zum Pflichtprogramm gehört, höhere Kompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnologie an den Tag legen und die Kompetenzlücke zwischen Jungen und Mädchen darüber hinaus mit verpflichtendem Unterricht schrumpft. Daher plädiert die Gesellschaft für eine verpflichtende Einführung als Schulfach, auch wenn mittlerweile digitale Lernformen in allen Fächern mehr oder minder eine Rolle spielen. Somit kommen auch Schüler:innen mit digitalen Lernformen in Kontakt, die keinen gesonderten Informatikunterricht haben.

 

Der DigitalPakt Schule des Bundesministeriums für Bildung und Forschung will das mit einer besseren Ausstattung der Schulen und dem flächendeckenden Aufbau einer zeitgemäßen, digitalen Bildungsinfrastruktur erreichen. Die digitale Bildung soll auch durch Anpassung der Lernpläne stärker berücksichtigt werden. Während der Corona-Pandemie wurden im Rahmen des DigitalPakts Sofortprogramme gestartet, beispielsweise um benachteiligte Kinder mit Endgeräten zu versorgen.

Mehrere junge Menschen halten Smartphones in den Händen.
Smartphone, Tablet, immer zu jeder Zeit online – ganz selbstverständlich für die junge Generation. © Robin Worrall | Unsplash

Nicht nur Zugang, sondern richtiger Umgang

Allerdings hat es sich die Politik nicht nur zur Aufgabe gemacht, die Versorgung mit digitaler Infrastruktur zu sichern, sondern auch die Aufklärung über einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zu unterstützen. Denn während Studien belegen, dass es in den Familien in der Regel nicht am Zugang zum Smartphone mangelt, ist es schwieriger zu untersuchen, ob im Elternhaus der sachgemäße, kritische, vorsichtige und umsichtige Umgang mit digitalen Inhalten geübt und kontrolliert wird.

Die technische Medienkompetenz evaluieren regelmäßig die Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest. Darin wird untersucht, ob Kinder und Jugendliche beispielsweise selbstständig in der Lage sind, Apps herunterzuladen, Beiträge zu kommentieren, Dateien aus dem Internet herunterzuladen oder Videos und Bilder zu posten. Die Zahlen haben sich zwischen 2018 und 2020 kaum verändert. Ab etwa 10 Jahren können die Mehrheit der Kinder solche Aufgaben selbstständig erledigen.

Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert allerdings Medienkompetenz als „Fähigkeit, sowohl die verschiedenen Medienkanäle als auch deren Inhalte kompetent und vor allem kritisch zu nutzen sowie mit und in diesen Kanälen zu agieren.“ Es geht also nicht nur um die technischen Fähigkeiten, sondern um den Umgang mit den Inhalten. Auf politischer Ebene liegt hier die Verantwortung nicht im Bildungs- sondern im Familienministerium, das verschiedene Projekte unterstützt, die Eltern und Kinder dabei helfen sollen, digitale Medien sinnvoll zu nutzen und einzuordnen. Dabei geht es einerseits auch um den Schutz vor gefährdenden Inhalten und andererseits darum, Kinder und Jugendliche davon abzuhalten, die Medien zu missbrauchen. Aus der ehemaligen „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ ist im digitalen Zeitalter längst die „Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“ geworden, die die Aufgabe hat, gegen jugendgefährdende Medien vorzugehen.

Hilfe im Dschungel digitaler Angebote

Doch selbst, wenn Angebote nicht gefährdend oder verboten sind, ist es für Eltern oft schwierig einzuschätzen, welche Medien für ihre Kinder geeignet sind und wo Gefahren lauern. Aufklärung dazu gibt es bei vielen öffentlichen und privaten Stellen. Medienpädagog:innen besuchen heute bereits Kindergärten, um mit Eltern darüber zu sprechen, ab welchem Alter und in welchem Umfang die Nutzung digitaler Medien sinnvoll ist. Bei kleineren Kindern haben Pädagog:innen und Eltern in der Regel noch vielfältige Möglichkeiten, die Nutzung zu steuern und zu beschränken. Anders sieht es aus, wenn die Kinder älter werden und zunehmend Angebote nutzen, die den Eltern völlig unbekannt sind.

Die öffentlich geförderte Initiative „SCHAU HIN! – Was Dein Kind mit Medien macht“ informiert auf ihrer Website, über Newsletter und auf digitalen Elternabenden darüber, welche Apps, Spiele und soziale Medien gerade im Trend sind, wie sie funktionieren und welche Risiken sie bergen können. Mit zunehmendem Alter schwindet allerdings der Einfluss der Eltern und die Frage, inwiefern Kinder und Jugendliche selbst bereits angemessen kritisch mit den Inhalten umgehen können, rückt immer stärker in den Vordergrund.

Dazu gibt es vergleichsweise wenige Erhebungen. Doch die JIM-Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest geben einige Anhaltspunkte. In der neuesten Erhebung von 2021 geben 72 Prozent der 12- bis 19-Jährigen an, häufig mehr Zeit am Handy zu verbringen als geplant – sprich die Selbstkontrolle lässt zu wünschen übrig. Über 20 Prozent fühlen sich von den vielen Möglichkeiten der sozialen Medien überfordert. Lediglich ein Drittel der Jugendlichen ist für Datenschutzfragen im Zusammenhang mit Social Media sensibilisiert. Die Mehrheit ist davon überzeugt, dass ihre Daten auf WhatsApp, TikTok, Instagram und Snapchat sicher sind.

Erkennen ja – handeln nein

Anlass zum Nachdenken gibt auch eine aktuelle Zusatzergebung zum Thema Fake News und Hate Speech. Darin konnten nur 4 Prozent der Befragten zehn Aussagen korrekt in „richtig“ und „falsch“ einordnen. Zwar stoßen die Jugendlichen regelmäßig im Internet auf Fake News und nehmen diese auch als solche wahr, unternommen wird laut der Studie allerdings selten etwas dagegen. „Ignorieren sei die verbeiteste Handlungsstrategie“, heißt es dort. Um die 60 Prozent überprüfen allerdings häufig oder gelegentlich Fake News, auf die sie im Internet stoßen. Ob eine Nachricht stimmt oder nicht, wird vor allem daran gemessen, ob auch andere Quellen darüber berichten. Jede/-r Zweite fragt im Zweifel seine Eltern, ob fragwürdige Inhalte stimmen können.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Hass im Netz. Vor allem auf Instagram, TikTok, YouTube und WhatsApp nehmen Jugendliche Hate Speech wahr; in der Regel wird sie aber ignoriert. Jeder fünfte gibt zu, bereits selbst schon einmal einen abwertenden oder beleidigenden Post abgesetzt zu haben. Trotz der Relevanz wurde laut der Studie bei einem Viertel der Jugendlichen das Thema Hate Speech bisher in der Schule nicht behandelt. „Angesichts der hohen Alltagsrelevanz dieser Probleme zeigt die vertiefende Untersuchung einerseits die Bedeutung eines kompetenten Umgangs mit problematischen Inhalten im Netz sowie die Förderung von Medienkompetenz bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Andererseits aber auch die Verantwortung der Anbieter, Meldestellen und altersgerechte Kommunikationsplattformen einzurichten und selbst aktiv gegen Fake News und Hassrede vorzugehen und deren Verbreitung einzudämmen“, lautet das Fazit der Studienmacher.

Aufklärung an Schulen muss ausgebaut werden

Dass digitale Kompetenzen stärker in den Schulen vermittelt werden muss, hat die Kultusministerkonferenz der Länder bereits 2016 mit der Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ festgeschrieben. Auch das kritische Reflektieren soll demnach integraler Bestandteil des Bildungsauftrags sein. Damit wurden die Schulen verpflichtet, Medienbildungskonzepte zu erarbeiten. Fortbildungen wurden entwickelt und zahlreiche öffentliche und private Plattformen stellen Unterrichtsmaterial für Lehrkräfte zur Verfügung. Als Schulfach hat sich Medienkompetenz aber bisher nicht durchgesetzt. „Ich sehe es auf der einen Seite schon richtig, dass hier auch ein Fach gefordert wird, aber ich finde es eigentlich noch viel wichtiger, dass wir diese Kompetenzvermittlung in jedes Unterrichtsfach einbauen“, sagte Tobias Frischholz, medienpädagogischer Berater für digitale Bildung und Leiter des Medienzentrums in Dachau, 2020 im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. „Da braucht es natürlich auch einiges an Fortbildung für die Lehrkräfte, aber wir müssen mit den Medien, die zum Alltag der Schülerinnen und Schüler gehören, im Unterricht arbeiten, und dann vermitteln wir damit auch gleichzeitig Medienkompetenz, verantwortungsbewusstes Handeln damit und auch eine gewisse Medienkritik.“

„Wir merken, dass die Lehrer sich manchmal gar nicht an diesen Stoff herantrauen“, sagte dazu Juliane von Reppert-Bismarck, Journalistin und Gründerin des Schulprojektes „Lie detectors“, ebenfalls gegenüber dem Deutschlandfunk. Die Organisation will digitale Desinformation bekämpfen und bietet unter anderem Klassenbesuche, Fortbildungen für Lehrkräfte und weitere Veranstaltungen an. Ziel ist es, ehrliche Gespräche zwischen der Zivilgesellschaft (Schüler, Lehrer, Eltern) und Journalisten zu ermöglichen und die bestehende europäische Medienkompetenzinitiativen besser zu vernetzen und die besten Ansätze für den Unterricht nutzbar zu machen.

Während die politischen Grundlagen also geschaffen sind, ist die Umsetzung der Medienbildung an den Schulen noch in vollem Gange. Einig sind sich alle Experten, dass es sich dabei aber um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Das heißt, Schulen, Verbände aber eben auch Eltern und Familien müssen an einem Strang ziehen und dazu über die nötige Unterstützung verfügen.

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